Als Kind war ich an Heiligabend wie verzaubert. Meine Oma erzählte uns, dass sie soeben das Christkind sah als es gerade wegflog. In der Eile hatte es an unserem Weihnachtsbaum eine kleine Engelslocke verloren. Dieser Beweis überzeugte mich voll und ganz, denn wie hätte diese Locke sonst ihren Weg an unseren Tannenbaum gefunden?
Ein wenig stutzig machte mich allerdings, dass es dem Christkind so außerordentlich wichtig erschien keine Kinder anzutreffen. So lag ich doch in der Annahme, dass es insbesondere den Kindern eine Freude bereiten wollte. Doch dieses Vorhaben musste anscheinend auf unsichtbare Weise umgesetzt werden. Das Christkind glich also einem Art Klabautermann ähnlich dem Pumuckl. Dieser durfte sich schliesslich auch nicht jedem zeigen, sonst hätte das weitreichende Folgen für ihn gehabt. Mit dieser Erklärung, die ich mir selbst gab, konnte ich gut leben.
Genauso beeindruckt war ich übrigens auch von meinem Wunschzettel, der auf geheimnisvolle Weise zu verschwinden schien. Des Nachts legte ich ihn auf das Fensterbrett und am nächsten Tag war er spurlos verschwunden. Natürlich war dies nur ein weiterer Indiz, dass es das Christkind tatsächlich geben musste.
Dass es den Nikolaus nicht gab, musste ich schmerzlich erfahren, als mein Vater diesen bei uns in der ersten Klasse der Schule spielte. Natürlich erkannte ich ihn sofort an seiner Stimme und war sehr verwirrt, als er im Nikolaus Kostüm vor uns Schulkindern stand. Pädagogisch besonders wertvoll war das natürlich nicht.
Früher waren die Zeiten anders und die Rücksicht auf das Wohl der Kinder stand im Hintergrund. So musste meine Mutter beispielsweise ertragen, wie sich die Eltern und ihre Freunde einen Spass daraus machten, ihr Kind mit dem Krampus zu verängstigten. Dieser steckte alle ungehorsamen Kinder in den Sack und hatte seine Rute dabei. Er trug alte Tierfelle und war über und über mit Ruß verschmiert. Heute trifft man den Krampus nur noch selten an und wenn dann steht er im Hintergrund und verhält sich recht ruhig.
Dieses Jahr kam es das erste Mal vor, dass mich unsere Tochter danach fragte, ob nicht die Eltern anstelle des Christkinds die Weihnachtsgeschenke kaufen. Da antwortete ich wahrheitsgemäß, dass wir einen Teil der Geschenke selber kaufen. Ich wollte jedoch nicht den gesamten Zauber lösen, da auch unser vierjähriger Sohn dabei sass. Wer weiss denn schon, ob es nicht tatsächlich eine Art von Engel oder Christkind gibt, das uns zu Weihnachten eine Freude bereiten will fragte ich die Kinder.
So hatten die Kinder einen Teil der Wahrheit gehört und ich ließ dennoch Raum für ihre eigenen Fantasie. Die Träume unserer Kindheit sind so schnell verflogen und alle Rätsel scheinen gelöst zu sein. Doch ein wenig Glanz und Wunder sollten wir uns in dieser schönen Vorweihnachtszeit gönnen und im Raum schweben lassen.
Übrigens wurde selbst ich dieses Jahr vom Nikolaus überrascht, denn es hing ein wundervoller Zweig mit drei Säcken für die Kinder daran und einer für uns Eltern. Ich wusste lange nicht, wer der Nikolaus war und nach ein paar Telefonaten bin ich ihm auf die Schliche gekommen. Doch diese Aufregung und Freude der Kinder zu sehen, dass der Nikolaus etwas für sie an die Tür hängte war unbezahlbar.
Vielleicht schaffen wir es noch ein paar weitere Jahre diesen Zauber zu bewahren…
Passend zu diesem Thema habe ich gestern einen wunderbaren Zeitungsartikel gefunden, den ich hier gerne abdrucken möchte.
Die achtjährige Virginia O’Hanlon aus New York wollte es ganz genau wissen. Darum schrieb sie an die Tageszeitung „Sun” einen Brief:
„Ich bin acht Jahre alt. Einige von meinen Freunden sagen, es gibt keinen Weihnachtsmann. Papa sagt, was in der ,Sun’ steht, ist immer wahr. Bitte, sagen Sie mir: Gibt es einen Weihnachtsmann?”
Virginia O’Hanlon
Die Sache war dem Chefredakteur so wichtig, dass er seinen erfahrensten Kolumnisten, Francis P. Church, beauftragte, eine Antwort zu entwerfen – für die Titelseite der „Sun”.
„Virginia, deine kleinen Freunde haben nicht Recht. Sie glauben nur, was sie sehen; sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können. Aller Menschengeist ist klein, ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt.Solcher Ameisenverstand reicht nicht aus, die ganze Wahrheit zu erfassen und zu begreifen.
Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann. Es gibt ihn so gewiss wie die Liebe und Großherzigkeit und Treue. Weil es all das gibt, kann unser Leben schön und heiter sein.
Wie dunkel wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe! Es gäbe dann auch keine Virginia, keinen Glauben, keine Poesie – gar nichts, was das Leben erst erträglich machte. Ein Flackerrest an sichtbarem Schönen bliebe übrig. Aber das Licht der Kindheit, das die Welt ausstrahlt, müsste verlöschen.
Es gibt einen Weihnachtsmann, sonst könntest du auch den Märchen nicht glauben. Gewiss, du könntest deinen Papa bitten, er solle am Heiligen Abend Leute ausschicken, den Weihnachtsmann zu fangen. Und keiner von ihnen bekäme den Weihnachtsmann zu Gesicht – was würde das beweisen?
Kein Mensch sieht ihn einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge bleiben meistens unsichtbar. Die Elfen zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie.
All die Wunder zu denken – geschweige denn sie zu sehen -, das vermag nicht der Klügste auf der Welt.
Was du auch siehst, du siehst nie alles. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönen Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, der die wahre Welt verhüllt, einen Schleier, den nicht einmal die Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube und Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann werden die Schönheit und Herrlichkeit dahinter auf einmal zu erkennen sein. ,Ist das denn auch wahr?’ kannst du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger.
Der Weihnachtsmann lebt, und ewig wird er leben. Sogar in zehn mal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen.
Frohe Weihnacht, Virginia.
Dein Francis Church.”
PS: Der Briefwechsel zwischen Virginia O’Hanlon und Francis P. Church stammt aus dem Jahr 1897. Er wurde über ein halbes Jahrhundert – bis zur Einstellung der „Sun” 1950 – alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit auf der Titelseite der Zeitung abgedruckt. Und seit 1977 – nachdem WamS-Autor Rolf R. Bigler (1930-1978) die Idee dazu hatte – in WELT am SONNTAG.
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